Der Einsatz von Cannabis als Schmerzmittel bleibt für Ärzte und Patienten weiter problematisch

Von Christian Beneker

Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes macht der Bundesopiumstelle zu schaffen und manchen Ärzten Hoffnung. Die Richter beschieden im Jahr 2005, dass ein MS-Patient Cannabis als Medikament kaufen dürfe. Seither, so Wilhelm Schinkel, Fachgebietsleiter in der Bundesopiumstelle des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), verzeichne man vermehrt Anträge von Patienten auf eine betäubungsmittelrechtliche Ausnahmegenehmigung. Doch die Rechtslage ist verzwickt.

 
Der niederländische Cannabis-Bauer James Burton inspiziert Pflanzen in seinem Garten. Bei unseren Nachbarn gibt es kleine Mengen Cannabis auf Rezept. Foto: dpa

Der niederländische Cannabis-Bauer James Burton inspiziert Pflanzen in seinem Garten. Bei unseren Nachbarn gibt es kleine Mengen Cannabis auf Rezept. Foto: dpa
Schmerzen, Spastiken, Übelkeit, Depressionen – solche und andere Leiden kann Cannabis lindern. Das meint jedenfalls Dr. Robert Haak, Chef der Schmerzambulanz im Krankenhaus Schleusingen. „Auf meiner Station hilft es manchen Krebs-Patienten, Nebenwirkungen von Opiaten zu lindern“, sagt Haak. Wie viele Patienten in Deutschland von Cannabis profitieren könnten, sei kaum abzuschätzen, meint Dr. Franjo Grotenhermen von der International Association for Cannabis as Medicine (IACM). Orientiert an Hochrechnungen aus den USA könnte es eine fünfstellige Zahl sein, heißt es.

Verschrieben werden kann nur der synthetische Wirkstoff

Weil Cannabis aber in Deutschland verboten ist, können Ärzte nur den synthetisch hergestellten Cannabis-Wirkstoff Dronabinol verschreiben, allerdings nur für wenige Patienten. Denn zwar gilt der Stoff laut Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes (BTMG) wie Morphium als verschreibungsfähig. Aber im Arzneimittelgesetz ist er nicht zugelassen. Der Arzt kann also Dronabinol oder das einzige Dronabinol-Fertigpräparat namens Marinol, das aus den USA kommt, auf BTM-Rezept verschreiben, wann immer er sich einen Behandlungserfolg davon verspricht.

Aber nach Angaben von Grotenhermen zahlen nur manche Krankenkassen. „Um vor Regressen geschützt zu sein, sollte der Arzt vor der Verschreibung unbedingt klären, ob die Kasse zahlt“, betont Grotenhermen. Die Präparate selber zu kaufen dürfte den meisten Patienten zu teuer sein. 600 Milligramm Marinol kosten nach Auskunft der IACM 1681 Euro und 500 Milligramm Dronabinol immer noch 465 Euro.

Unterdessen schaffen Patienten Fakten und besorgen sich natürlichen Cannabis. Entweder bauen sie Cannabis an oder schmuggeln ihn aus Holland ein oder versuchen es über die „Hanfapotheke“ (www.hanfapotheke.de). Sie vermittelt anonym zwischen Patienten und Cannabis-Spendern.

Das Ganze ist illegal oder bewegt sich am Rande der Illegalität. Denn anders als das synthetische Dronabinol ist Cannabis selbst gesetzlich tabu. Laut Paragraf 31a BTMG werden zwar Besitzer von „geringen Mengen“, das sind je nach Bundesland drei bis dreißig Gramm, von der Staatsanwaltschaft nicht verfolgt. Aber Cannabis wird im BTMG unter der Anlage I geführt und bleibt grundsätzlich verboten wie LSD oder Heroin.

Ausnahmen vom Verbot gewährt das BfArM nur für wissenschaftliche oder „im öffentlichen Interesse liegende Zwecke“. Hier scheiden sich die Geister. Immer wieder standen in den vergangenen Jahren Patienten vor Gericht, weil sie ihre Gesundheit als „im öffentlichen Interesse liegend“ verstanden. Die Gerichte entschieden nach und nach im Sinne der Patienten. Das bisher am weitreichendste Urteil fällte das Bundesverwaltungsgericht 2005 bei einem Patienten mit Multipler Sklerose. Quintessenz: Die Behandlung mit Cannabis stehe im öffentlichen Interesse. Jedenfalls könne der Antrag, Cannabis als Medikament zu kaufen, nicht pauschal abgelehnt werden mit der Begründung, diese Verwendung von Cannabis stehe nicht im öffentlichen Interesse, heißt es im Leitsatz des Urteils.

Arzt kann Verantwortung für Patienten nicht übernehmen

Seither sieht sich die Bundesopiumstelle mit vielen Einzelanträgen konfrontiert und reagierte mit einer Liste von Voraussetzungen der Genehmigung. So muss der Patient etwa erläutern, warum er nicht Dronabinol nimmt. Außerdem muss er eine „verantwortliche Person“ mit entsprechender Sachkenntnis benennen, zum Beispiel seinen Arzt. Für Grotenhermen ist das eine inakzeptable Forderung: „Diese Verantwortung kann der Arzt nicht übernehmen, denn was geschieht, wenn der Patient unzuverlässig ist?“ Wilhelm Schinkel will zur Zahl der Anträge und zur Entscheidung über sie nichts sagen: „Über laufende Verfahren dürfen wir keine Auskunft geben.“ Laut Schinkel könnte aber bald Bewegung in die Sache kommen.

Patienten können sich oft nur auf illegalem Weg helfen

„In Kanada ist schon das Mundspray Sativex mit natürlichem Cannabis-Extrakt auf dem Markt. Wenn auch in Deutschland die Zulassung beantragt werden sollte, wäre eine der Voraussetzungen für die Zulassung allerdings die Änderung des Betäubungsmittelgesetzes.“ Dann hätten auch manche Ärzte weniger Regress-Probleme. Die Cannabispflanze ist billig und gedeiht prächtig. Unterdessen driften Patienten in die Illegalität: „Ich kennen eine Glaukom-Patientin, die sich von ihrem Mann, der beim Bundesgrenzschutz arbeitet, Cannabis beschaffen lässt“, berichtet Grotenhermen, „das ist doch absurd!“

Regierung fehlt ein Wirkungsnachweis

Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht es Patienten leichter macht, Cannabis zu therapeutischen Zwecken zu nutzen, plädiert die Bundesregierung für eine sehr restriktive Erteilung von Ausnahmegenehmigungen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArm) habe zu beachten, dass es sich bei Cannabis nach wie vor um ein nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel handelt, dessen therapeutischer Nutzen bis heute nicht eindeutig wissenschaftlich nachgewiesen sei. Deshalb komme eine Umstufung von Cannabisprodukten derzeit nicht in Betracht, so die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im November 2006.