Ärzte-Zeitung 8. Mai 2008
Schmerztherapeuten sprechen sich für Aufweichung des WHO-Stufenschemas aus
FRANKFURT AM MAIN (hem). „Moderne Schmerztherapie muss sich an den Mechanismen der Entstehung und Chronifizierung von Schmerzen orientieren und darf sich nicht an einem historisch begründeten, aber heute überkommenen Stufenschema festklammern.“ Das forderte Tagungspräsident Dr. Gerhard
Müller-Schwefe beim Deutschen Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt am Main.
Die frühzeitige Applikation stark wirksamer Opioide dürfe Patienten nicht vorenthalten werden, bloß weil sie im WHO-Stufenschema nicht vorgesehen ist, so Müller-Schwefe.
Auch Dr. Johannes Horlemann, Allgemeinmediziner und Algesiologe aus Kevelaer, sprach sich für eine Aufweichung des WHO-Stufenschemas aus. Er verwies darauf, dass die bei verschiedenen chronischen Schmerzformen übliche Therapie mit NSAR und Opioiden der WHO-Stufe 2 problematisch sei.
Retard-Opioide sind für alte Patienten gut geeignet.
Besonders für jüngere Patienten mit Bewegungsschmerzen sowie für ältere multimorbide Patienten mit umfangreicher Begleitmedikation forderte er eine gut verträgliche Therapie, die ein möglichst geringes Risiko von Wechselwirkungen birgt. Nicht nur aufgrund des geänderten Risikobewusstseins für NSAR, sondern auch wegen des guten Nutzen-Risiko-Verhältnisses stark wirksamer Opioide sollte deren frühzeitige Anwendung in Erwägung gezogen werden, so Horlemann.
Von Vorteil sei die Therapie mit Hydromorphon. Es bildet keine aktiven Metaboliten und wird kaum über das Cytochrom-P450-System verstoffwechselt. Dadurch ist das Risiko für unerwünschte Wirkungen gering. Die Substanz wird sowohl renal als auch hepatobiliär eliminiert. Bei Patienten mit Nieren- oder Leberinsuffizienz besteht keine Kumulationsgefahr. Übelkeit trete bei etwa 3 bis 8 Prozent der Patienten auf – die Häufigkeit sei somit am niedrigsten im Vergleich zu den anderen stark wirksamen Opioiden (Häufigkeit etwa 15 bis 30 Prozent), betonte Dr. Wolfgang Schwarz vom Hospiz St. Marianus in Bardowick bei einem Symposium von Janssen-Cilag.
Daher profitierten von einer Therapie mit retardiertem Hydromorphon vor allem alte, multimorbide Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und reduziertem Leberstoffwechsel, Tumorpatienten und Patienten mit chronischen Schmerzen, die Koanalgetika und weitere Medikamente benötigen, so Schwarz.
Erleichtert werde der Einstieg mit Hydromorphon mit der niedrig dosierten Startdosis von 4 mg einmal täglich (Jurnista® 4 mg), so Horlemann. Zudem sei mit dieser Dosis im Verlauf eine Feintitration möglich. Im Vergleich zu hoch dosierten NSAR und WHO-Stufe-2-Opioiden sei die Therapie besser verträglich. Zudem sorge die kontinuierliche Wirkstoff-Freisetzung des Präparats über 24 Stunden für gleichmäßige Plasmaspiegel und eine dauerhafte Analgesie bei chronischen Schmerzen auch des Bewegungsapparates.