(Zeitung Abseits! Ausgabe 5/2008 Seite 10 und 11)
Dieter Barlag über seine Erfahrungen als Schmerzpatient und sein Engagement in der Selbsthilfegruppe „Mit Schmerzen leben“
Ich habe 1960 bei der Bundeswehr mit einem Motorrad einen Unfall erlitten. Bin im Manöver gestürzt, über den Lenker abgestiegen und habe mir dabei eine Halswirbelverletzung zugezogen. Diese wurde anfangs leider nicht erkannt. Nach meiner Entlassung von der Bundeswehr 1961 begann dann eine Odyssee bei den Ärzten. Mein Hausarzt schickte mich zunächst zu einem Augenarzt, dann zu einem HNO Arzt, aber nichts wurde besser. Nach etwa einem dreiviertel Jahr wurde ich zu einem Orthopäden geschickt, der dann feststellte, dass eine Stauchverletzung bei der Halswirbelsäule vorhanden war.
Vor meiner Einberufung zur Bundeswehr hatte ich den Malerberuf im Betrieb meines Vaters erlernt. Nach der Bundeswehr sollte ich die Meisterprüfung machen und den Betrieb über-
nehmen. Das war natürlich nach dem Unfall nicht mehr möglich. Ich bekam dann von der LVA die Möglichkeit, eine Umschulung zum Bautechniker in Hamburg zu machen. Das war für mich ein großes Glück, denn ich wurde nach Ausbildung von einem Ingenieurbüro in Osnabrück übernommen und habe dort nur reine Ingenieurarbeit gemacht. 1972 bekam ich den Ingenieurtitel zuerkannt. Beruflich war ich damit gut abgesichert. Das ist aber eine Ausnahme, denn dieses Glück haben längst nicht alle Schmerzpatienten.
1971 wurde ich von Seiten des Versorgungsamtes zu einer Begutachtung aufgefordert, und zwar in der Universitätsklinik in Münster. Dort gab man mir den Rat, mich an der Halswirbelsäule operieren zu lassen. 1972 wurden vier Halswirbelgelenke versteift, und man
sagte mir, dass es jetzt mit meinen Beschwerden besser werden würde. Die Besserung hielt allerdings nur ein knappes halbes Jahr an und die Schmerzen wurden wieder schlimmer. Ich wurde dann von einem Arzt zum anderen geschickt, man hat mich sogar als Simulanten hingestellt.
1991 bekam ich schließlich den Rat von Prof. Winkemöller in der Paracelsusklinik, mir eine Medikamentenpumpe implantieren zu lassen. Das geschah dann im Januar 1992 mit dem Erfolg, dass 70 meiner Schmerzen durch die Gabe eines Medikamentes über diese Medikamentenpumpe gelindert waren. Das war für mich eine ganz tolle Erfahrung, und ich bekam eine Lebensqualität wieder, die ich schon seit Jahren nicht mehr gekannt habe.
Nach allen diesen Erfahrungen hat man mich gebeten, eine Selbsthilfegruppe für chronische Schmerzpatienten zu gründen. Das geschah dann Anfang 1995. Ich habe mir zur Aufgabe gemacht, anderen betroffenen Patienten zu helfen, damit denen eine Odyssee von Arzt zu Arzt erspart bleibt.
Unsere Gruppe besteht zurzeit aus 40 Personen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Ärzte sich untereinander sehr viel mehr austauschen müssten, leider geschieht das selten oder gar. nicht. Das wiederum versuchen wir den Leuten bei unseren Gruppentreffen mit zuteilen. Ich habe jetzt die ganzen Jahre, von 1991 an, darum gekämpft, dass die Patienten von Seiten der Ärzteschaft mehr Informationen über ihr Leiden bekommen, darüber, was mit ihnen geschehen soll. Die meisten werden nicht genügend aufgeklärt. Das versuche ich zu ändern.
Unsere monatlichen Treffen finden, in der Paracelsusklinik statt. Dort bin ich schon öfter gebeten worden, Patienten, die dort stationär liegen, zu informieren, und das auch mit sehr gutem Erfolg. Wir haben hier in Osnabrück das Glück, dass es einige Ärzte und Fachärzte mit der Zusatzbezeichnung für spezielle Schmerztherapie gibt. In unserer Selbsthilfegruppe haben wir von diesen fünf oder sechs Praxen auch eine Liste ausliegen.
Ein Problem ist die Nachsorge bei Patienten mit einer Medikamentenpumpe, denn die Nachsorge ist nicht überall gegeben. Wenn man zum Beispiel länger in Urlaub fahren möchte, muss die Pumpe dort neu befüllt werden. Ich habe bei den Firmen, die diese Medikamentenpumpen vertreiben, eine Liste bekommen, kann den Leuten sagen, ,wo es entsprechende niedergelassene Ärzte oder Krankenhäuser gibt, wo die Versorgung möglich ist. Auf besondere Nachfrage habe ich bei den Herstellern der Pumpe auch Adressen in Spanien.
Unsere Selbsthilfegruppe hat sich als Ansprechpartner für das Thema Schmerz etabliert. In unserem Flyer bezeichnen wir uns auch als Fachleute auf dem Gebiet von Behandlungen mit Medikamentenpumpen und Schmerztherapien Ich wurde zum Beispiel einmal an einem Freitagabend vom Krankenhaus angerufen. Eine Patientin aus unserer Gruppe sollte eine Kernspintomografie bekommen Die Ärzte wollten wissen ob das überhaupt möglich sei. Ich habe mich daraufhin mit zwei anderen Patienten in Verbindung gesetzt und bin so an ein Zertifikat gekommen, in dem steht was bei einem Patienten mit einer Medikamentenpumpe möglich ist. So haben wir unter anderem erfahren, dass eine Kernspinuntersuchung o.k. ist Diese Liste habe ich dann an sämtliche Radiologen und Krankenhäuser in Osnabrück verteilt. Sonst kümmert sich niemand darum. Selbst die Krankenkassen können da keine Auskunft geben.
In unserer Selbsthilfegruppe wird nicht nur über medizinische Themen gesprochen. Unsere Mitglieder sind im Alter von 35 bis über 80 Jahre. Gerade die Patienten im Alter von 40 Jahren, die erwerbsunfähig sind, haben wirklich Schwierigkeiten, im Alltag zurechtzukommen. Von einem Gruppenmitglied habe ich erfahren, dass es eine Rente von 600 oder 700 Euro bekommt. Dieser Patient ist gerade einmal 38 Jahre. Schmerzpatienten haben auch oft Probleme mit sozialen Kontakten. Ich selbst bin verheiratet, habe zwei Kinder, mittlerweile auch zwei Enkelkinder. Meine Familie hat meine Krankheit immer voll mitgetragen. Meine Frau unterstützt mich in allem, auch in der Arbeit mit der Selbsthilfegruppe. Sie ist sozusagen meine Sekretärin, vereinbart Termin usw. Ich habe da sehr großes Glück. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass es aber in unserer Gruppe durchaus Leute gibt, bei denen die Beziehung aufgrund der Erkrankung gescheitert ist und der Partner sich getrennt hat. Wenn der Partner hinter einem steht, ist vieles leichter. Wenn man psychische Probleme hat und es in der Partnerschaft keine Unterstützung gibt, können sich die Schmerzen enorm verstärken.
Wir unterstützen und in der Gruppe auch bei Arztbesuchen oder bei der Antragsstellung auf Schwerbehinderung. In dieser Angelegenheit bin ich bereits seit zwölf Jahren ehrenamtlicher Richter beim Sozialgericht und gut informiert. Neben den Gruppentreffen findet auch privat unter vielen Mitgliedern regelmäßiger Austausch statt. Auch die Angehörigen treffen sich, um über ihre Probleme zu sprechen und sich gegenseitig zu helfen.
Viele Betroffene sind nicht in der Lage, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, sei es aus psychischen Gründen, oder weil sie sich absondern. Diese Patienten brauchten eigentlich eine psychische Betreuung und Begleitung. Von den Kassen werden psychologische Gespräche getragen, aber die Betroffenen lehnen es oft ab. Ich für mich selbst habe des Öfteren psychologische Betreuung in Anspruch genommen. Aber die ältere Generation kann damit überhaupt nicht umgehen.
Für den Raum Osnabrück wünschen wir uns ein interdisziplinäres Schmerzzentrum. Das heißt, dass Ärzte aus verschiedenen Fachrichtungen zusammen arbeiten. Bei chronischen Schmerzpatienten sind das zum einen der Hausarzt, dann möglicherweise Orthopäde, Neurologe und Neurochirurg. Ich habe selbst erlebt, dass ein Patient aus unserer Selbsthilfegruppe in einer Klinik zu drei verschiedenen Arztpraxen gegangen ist und in allen drei Praxen das gleiche Medikament in Hunderterpackungen verschrieben bekam. Da sage ich mir, so etwas dürfte nicht passieren Da fehlt ganz klar die Verhetzung und Zusammenarbeit zwischen den Ärzten.
Ich möchte zum Schluss noch sagen, dass jeder, der Probleme mit chronischen Schmerzen hat, sich in unserer Selbsthilfegruppe melden soll. Es gibt immer einen Rat und Wege zu helfen. Man muss auch nicht immer an den Gruppentreffen teilnehmen. Aber man, kann in Gesprächen schon manches klären. Linderung ist auf jeden Fall, möglich, auch schon durch Gespräche.
Verfasst von Beate Nakamura